Wo der Hund begraben lag – Perfekt oder Präteritum?
Wie man weiß, sind wir Übersetzerinnen und Übersetzer bei allen die deutsche Sprache betreffenden Fragen – und zugegebenermaßen bei den meisten anderen Belangen auch – selten um eine Antwort verlegen. Und erst recht, wenn es um ein vermeintlich so banales Thema geht, wie jenes, das sich das MÜF im September als Fortbildungsfokus auserkoren hat: Perfekt oder Präteritum – das ist die Frage.
Besprechendes oder erzählendes Tempus?
So starteten wir gemeinsam mit der Vortragenden Gloria Buschor anhand einer aus Weinrichs Textgrammatik der deutschen Sprache entlehnten, völlig klaren Unterscheidung zwischen „besprechendem“ und „erzählendem“ Tempus-Register sowie diversen anderen Merkmalen der beiden Vergangenheitsformen erstmal zuversichtlich in die Diskussion.
Weinrich allein löst die Frage nicht
Bereits beim ersten Textbeispiel wurde jedoch klar: Mit Weinrich können wir zwar unseren Horizont gehörig erweitern, die Entscheidung nimmt er uns aber auch nicht ab. Zu viele Faktoren fließen in die Wahl des Tempus mit ein: Kontext (natürlich!), Dialekt, Soziolekt und Alter des Sprechers, literarische Tradition oder aktuelle Strömungen der Sprachentwicklung (denn laut Sprachwissenschaft haben wir es im Deutschen mit einem regelrechten „Präteritumschwund“ zu tun). So beschäftigten wir uns geraume Zeit damit, ob es nun Wir begruben den Hund in Nachbars Garten oder Wir haben den Hund in Nachbars Garten begraben heißen muss, und welche Bedeutungsnuancen jede der beiden Tempus-Formen mit sich bringt. Anschließend stand zur Diskussion, ob und in welchem Ausmaß beide Formen gemischt vorkommen können, welcher Effekt damit erzielt wird und wie lange man eine Erzählung im Perfekt durchhalten kann. Kann man dem Leser ein ganzes Buch im Perfekt überhaupt zumuten?
Schriftlichkeit vs. Mündlichkeit – und alles dazwischen
Einigkeit herrschte darüber, dass „grundsätzlich kein Tempus einer Sprache dem Tempus einer anderen Sprache gleichgesetzt werden kann“, auch weil sich die Erzähltraditionen verschiedener Sprachen sich in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzenten unterschiedlich entwickelt haben.
Im Laufe des Abends verschwamm die Trennlinie zwischen „Schriftlichkeit“ und „Mündlichkeit“ immer mehr und machte Begriffen wie Bauch- und Sprachgefühl Platz, bis schließlich klar war, wo der Hund begraben liegt: Tempusentscheidungen sind eben alles andere als banal!
So ging die Prophezeiung der Referentin, der Abend werde wohl mehr Verwirrung stiften, als Fragen beantworten, idealerweise aber dabei helfen, Bauchentscheidungen zu rechtfertigen, in vollem Umfang in Erfüllung.
Claudia Amor