Herbstlese 2017: Eine reiche Ernte
Herbstzeit ist Lesezeit – in zweifacher Bedeutung: Die Ernte wird eingefahren, und man hat Zeit zu lesen. Oder sich vorlesen zu lassen. Während also draußen noch die letzten bunten Blätter von den Bäumen flatterten, blätterten im Literaturhaus vier Übersetzerinnen in ihren neuesten Werken, erzählten im Gespräch mit der Moderatorin Ursula Wulfekamp von den Freuden und Herausforderungen der Texte und lasen uns Erlesenes vor.
Intelligente Essays der „furchterregend gebildeten“ Margaret Atwood
Christiane Buchner begann mit dem Essayband Aus Neugier und Leidenschaft (erschienen im Oktober 2017 im Berlin Verlag) der kanadischen Autorin Margaret Atwood, die in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hat. „Das Buch ist so sympathisch, wie es aussieht!“, erklärt Christiane gleich zu Anfang und stellt ein großes pinkfarbenes Hardcover mit einer Eule darauf auf den Tisch. Die Eule ist natürlich nicht zufällig ausgewählt, denn die Essays, so Christiane, seien ein „intellektuelles Vergnügen“, jeder für sich interessant und tiefgründig. Dass die Autorin geradezu „furchterregend gebildet“ ist, stellte aber auch eine Herausforderung an die drei Übersetzerinnen des Buches dar, die entsprechend viel recherchieren mussten. Gottseidank sind sie (nicht nur über das MÜF) gut vernetzt.
In den zwei Ausschnitten, die Christiane vorliest, wird dann recht bald deutlich, dass die Texte nicht nur ein intelligentes Spiel mit kulturwissenschaftlichem Wissen, sondern auch witzig geschrieben sind. Dass das Übersetzen Spaß gemacht hat, ist deutlich zu merken, und auch das Zuhören ist ein Vergnügen. In der ersten Passage aus der Rede „Wie Utopia entstand“ (1989) fragen wir uns, was Platons Staat und die Johannesoffenbarung verbindet und warum Utopien nur bei Gesellschaften mit einem monotheistischen Weltbild und linearer Zeitauffassung entstehen. Im zweiten Text, einer Passage aus dem Essay „Männer gestalten: Romanfigur Mann“ reagiert Margaret Atwood auf den Vorwurf, dass Männer in ihren Werken schlecht wegkämen, und folgert nach einem ironischen Blick in die Literaturgeschichte – zu so „sympathischen“, von Männern geschriebenen Figuren wie Hamlet, Macbeth und Faust –, dass eine gut geschriebene Figur keine moralisch gute sein muss. Dennoch fragen wir uns: Sind Autorinnen gnädiger mit männlichen Figuren als Männer? Dürfen nur Männer gemein zu Männern sein?
Spanischer Roman: Yoro von Marina Perezagua
Dann lassen wir die Männer hinter uns und wenden uns in den folgenden drei Übersetzungen den Frauen zu. Als zweite an diesem Abend liest Silke Kleemann aus Hiroshima der spanischen Autorin Marina Perezagua (erscheint im März 2018 bei Klett Cotta), einem der allerschwierigsten Bücher, die sie je übersetzt habe – nicht nur wegen der schwierigen Sprache und der langen, komplizierten Sätze, sondern auch wegen des besonderen, poetischen Blicks auf die Welt und des durchaus bedrückenden Themas des Atombombenabwurfs. Da stellt sich die Frage, wie tief man als Übersetzerin in einen Text auch emotional eintauchen muss, wie sehr man sich berühren lassen muss, um ihn angemessen und nachvollziehbar zu übersetzen. Detaillierte technische Beschreibungen der Atombombe, die zwar einiges an Recherche erfordern, können da schon fast ein Schutz und eine willkommene Ablenkung sein, erklärt Silke. In der ausgewählten Textstelle kommt dann aber vor allem die poetische Dimension des Romans rüber. In den Gedanken der Protagonistin, einer Überlebenden von Hiroshima, überlagern sich bei einem Spaziergang Bilder um die Themen Schwangerschaft, Tod, Suche und Verdauung.
Jessica Brockmole und die Frauen in der Filmbranche
Mit dem dritten Buch führt uns Uta Rupprecht in ein traurig aktuelles Thema ein: Woman enters left von Jessica Brockmole (erscheint im Frühjahr 2018 bei Diana) ist ein Roman, der vom „nicht immer ganz korrekten Umgang mit Frauen in der Filmbranche“ handelt, was in der erzählten Zeit, dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts, aber als völlig normal hingenommen wird. Aus verschiedenen Perspektiven und mithilfe verschiedener Textsorten – darunter auch ein Haushaltsbuch – wird von der Emanzipation zweier Frauen erzählt.
Swingen mit Zadie Smith
Und dann gibt es da ja noch Autorinnen, zu denen man einfach irgendwie einen persönlichen Bezug hat. So ist es bei Tanja Handels und Zadie Smith. Diese war schon lange eine ihrer Lieblingsautorinnen, erzählt Tanja, als ihr der Verlag vor ein paar Jahren unerwartet einen Essayband anbot. Mit Swing Time (erschienen im August 2017 bei Kiepenheuer & Witsch) durfte sie nun bereits den zweiten Roman von ihr übersetzen. In einem wunderbar ironischen Ton erzählt die ausgewählten Textstellen von einem Mädchen mit schwarzer Mutter und weißem Vater, das versucht, jenseits von Müttern mit „Geschmack“, Fragen der ethnischen Zugehörigkeit und einem altklugen, aber hoffnungslos konservativen Uni-Freund einfach nur ein „Mensch weiblichen Geschlechts“ zu sein. Die Übersetzung ist mindestens so spritzig wie das Original, und der Funke springt sogleich über. Man könnte noch ewig weiter zuhören. Gottseidank kann man sich diesen Roman gleich besorgen und weiterlesen, während man auf den Frühling wartet, um dann auch die anderen beiden lesen zu können.
Elisabeth Heeke