In der Länge liegt die Last: Wie man Satzungetüme bändigt
Bericht aus der Übersetzerwerkstatt mit Ursula Wulfekamp
Die Länge der Gesänge ist zu lang
für meines Ohres Länge.
(Wilhelm Busch)
Eine kleine, aber feine Gruppe von ÜbersetzerInnen hatte sich am Donnerstag, den 11. Juni 2019 im Literaturhaus eingefunden, um sich gemeinsam den Herausforderungen zu stellen, die „Satzungetüme“ mit sich bringen können. Unter der Anleitung von Ursula Wulfekamp sollte anhand von Beispielen erarbeitet werden, wie man Sätzen zu Leibe rücken kann, die kein Ende nehmen wollen.
Ist das Stil oder kann das weg?
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde war das denn auch die erste Frage, die die Teilnehmer beschäftigte: Wie geht man mit langen Sätzen um? Welche Herangehensweisen gibt es? Eine einfache Antwort darauf – das wurde sehr schnell klar – existiert nicht. Wie mit solchen Sätzen umzugehen sei, lasse sich so pauschal nicht sagen, hieß es beispielsweise in einer Ecke. Sicher sei nur, was am Ende des Arbeitsprozesses stehen müsse, nämlich wie immer eine idiomatische Übersetzung, „die auch im Deutschen gut rüberkommt“. Nach und nach wurde aber doch einiges zusammengetragen, das den Umgang mit Satzungetümen erleichtern könnte, beziehungsweise, das es bei der Übersetzung derselben zu beachten gilt: Den Satz erst einmal ganz genau und Wort für Wort zu übersetzen und dann weiterzusehen, lautete ein Vorschlag; ihn zu sortieren und seine Struktur zu durchdringen, ein anderer. Der Rhythmus eines Satzes spiele ebenfalls eine wichtige Rolle, weshalb es auch nicht immer ratsam sei, den Satz zu zerstückeln. Von anderer Seite wurde die Frage „Ist das Stil oder kann das weg?“ aufgeworfen, wobei diese natürlich wiederum die Frage nach sich zieht, ob man damit dem Autor nicht Unrecht tut.
Ans Eingemachte
Nach diesem kurzen Brainstorming ging es ans Eingemachte: Neun Beispiele hatte die Workshopleiterin zusammengestellt, wobei einige aus eigenen, andere aus Projekten einzelner Workshop-TeilnehmerInnen stammten. Zunächst wurde auf die englischen Originale eingegangen: Man klärte Fragen zu einzelnen Ausdrücken sowie zum Kontext, machte Vorschläge, diskutierte, verfeinerte oder verwarf diese wieder, bevor man schließlich einen Blick auf die bereitgestellte deutsche Übersetzung warf.
Nun ist es ja kein Geheimnis, dass sich Übersetzer durch ihre Liebe zur Sprache und durch ihre Gründlichkeit auszeichnen und demnach dürfte es niemanden überraschen, dass in der vorhergesehenen Zeit gerade einmal vier der neun Beispiele besprochen werden konnten – diese jedoch ausführlich und in all ihren Details. Hier zeigte sich einmal mehr, dass die übersetzerische Tätigkeit eine ganzheitliche ist, denn selbst, wenn der Fokus an diesem Abend ganz klar auf dem Umgang mit der Satzlänge lag, so konnten doch auch die anderen Aspekte der Textausschnitte (die Bilder, die einzelne Ausdrücke entstehen lassen, Wiederholungen im Original, die es in der Übersetzung eventuell auch zu berücksichtigen gilt, usw.) nicht vernachlässigt werden.
Der Kontext ist überlebenswichtig
Anhand der Beispiele kristallisierten sich dann auch noch weitere Strategien heraus, wie beispielsweise die Umstellung des Satzes, das Einfügen von Einschüben oder das Aufsplitten in zwei Sätze (wobei manch einer der Ansicht war, dass diese Strategie eher im Sachbuchbereich denn bei der Belletristik anzuwenden sei, da lange Satzgefüge bei letzterer auch zum Stil des Werkes gehören können). Wie immer beim Übersetzen stellte sich auch im Umgang mit „Satzmonstern“ der Kontext als überlebenswichtig heraus, wobei sich dieser nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Art des Textes beziehen kann; schließlich lassen sich manche Textarten in Bezug auf Ausdruck und Stil lockerer formulieren als andere und das kann wiederum so manche Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit der Satzlänge erleichtern.
Nach einem spannenden und intensiven Workshop lautete der allgemeine Konsens: Eine Werkstatt in dieser Art ist ein ganz wunderbares Format. Bitte mehr davon!
Johanna Ott, Juli 2019