ÜbersetzerInnen auf die Bühne: Vorlesetraining mit Michael Kranz
Für das Münchner Übersetzer-Forum begann das neue Jahr mit einer ungewöhnlichen Veranstaltung: Praxis statt Theorie, selber lesen statt anderen zuhören. Der Schauspieler Michael Kranz, der neben zahlreichen Auftritten in Film und Fernsehen auch häufig Lesungen im Literaturhaus bestreitet (zuletzt die Vorstellung des 2018 erschienenen Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger), weihte die trotz Schnee recht zahlreich versammelte Übersetzerschaft in die Geheimnisse einer guten Lesung ein – und ließ zu diesem Zweck erst einmal die arrangierten Stuhlreihen zu einem Stuhlkreis umbauen. In einer ersten Vorstellungsrunde wurden Erwartungen und Anliegen
gesammelt, und derer gab es viele: Von der Bekämpfung der Nervosität vor dem Auftritt über die Strukturierung des zu lesenden Textes und die Proben im Vorfeld bis hin zur Körpersprache auf der Bühne und zur Gestaltung der Stimme war alles dabei.
Atem als wichtigstes Instrument
Und diese Bereiche – Vorbereitung, Umgang mit dem Lampenfieber sowie das eigentliche Lesen – standen dann auch im Mittelpunkt des lebendigen Abends. Erste Aufgabe an uns: vor den anderen auftreten, den Schritt von der privaten zur Bühnenpräsenz vollziehen, ganz da und ganz bei sich sein und einen Satz sagen. Das Wichtigste beim Auftreten, so lernen wir, ist immer das Authentisch-Sein, die Präsenz im Augenblick. Und dabei ist das wichtigste Instrument natürlich der Atem: Konzentrieren wir uns auf ihn, holt er uns immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurück. Die Fokussierung auf den Atem und die gezielte Atmung in den Bauch können auch dabei helfen, die Aufregung in den Griff zu bekommen.
Aufmerksamkeit als geballte Energie
Sehr spannend ist die Erkärung, was bei so einer Auftrittssituation eigentlich genau passiert. Aufmerksamkeit, erklärt uns Michael Kranz, ist Energie, die sich auf uns konzentriert, wenn wir auf der Bühne sitzen. So eine geballte Ladung Energie muss man erst einmal aushalten, es lässt sich aber auch mit ihr arbeiten, man kann sie nutzen. Ihm selbst, erzählt er uns, helfe es immer, sich zu denken, dass es bei einer Lesung ja gar nicht um ihn gehe. Der Text ist das eigentlich Wichtige – man selbst als Lesende/r ist nur das Leitmedium für die Energie.
Erden und Zentrieren – und sich selber zuhören
Nach einer vorbereitenden Übung, die der Erdung und Zentrierung dient (sich aufrecht hinstellen, die Augen schließen, den Boden spüren, in den Bauch atmen, Spannungen im Körper orten und versuchen, sie zu lockern – Letzteres empfiehlt uns Michael Kranz auch für den Alltag: immer wieder einmal schauen, was die neuralgischen Spannungspunkte des eigenen Körpers machen, und versuchen, die Anspannung darin loszulassen), folgen ein paar praktische Tipps für den eigentlichen Auftritt: Das Wichtigste beim Vorlesen, lernen wir, ist es, sich selber zuzuhören, während man liest. Das setzt die Stimme an die richtige Stelle, reguliert die Lautstärke, mit der man liest, und die Lesegeschwindigkeit. Auch beim Üben sollte man sich immer bereits selbst zuhören, so, als erlebte man den Text zum ersten Mal. Und überhaupt das Üben: Gut vorbereitet sein, sagt uns Michael Kranz, sei bei einer Lesung das Wichtigste überhaupt, und so empfiehlt er uns, den Text vorher so oft wie irgend möglich komplett zu lesen – mindestens fünfzehn Mal, gerne häufiger. Je öfter man den Text liest, umso genauer kennt man ihn, umso weniger nervös ist man bei der Lesung, und umso geschmeidiger gerät der Auftritt.
Praktisches Auftrittstraining
Ans Auftreten geht es dann für gut die Hälfte der Anwesenden: Wir wurden alle im Vorfeld gebeten, unsere eigenen Übersetzungen mitzubringen, und aus diesen lesen nun einige Kolleginnen und Kollegen uns allen vor. Immer nur wenige Sätze, und doch erweist sich Michael Kranz auch bei diesen kurzen Textstücken schon als herausragender Coach: Er lobt jede Performance, findet aber auch jeweils sehr konkrete, individuelle Tipps, wie die oder der Lesende sich noch verbessern kann. Und wir Zuhörenden sind baff, wie enorm sich die jeweiligen Leseleistung allein durch den Versuch, diese Tipps zu beherzigen, sofort verbessert. Bei den Lesungen ist auch die Technik ein großes Thema: Der von Michael favorisierte Kutschersitz setzt sich zwar nicht flächendeckend durch, den Tipp, so nah wie möglich am Mikrofon zu lesen, werden aber sicher alle Anwesenden dieses Abends bei künftigen Lesungen zumindest einmal ausprobieren. Es ist erstaunlich, wie viel nuancierter und in
timer die Stimme wird und wie viel Qualität der Text dabei gewinnt. Wir sind alle fasziniert, überziehen maßlos, bis sich schließlich ein Literaturhaus-Techniker demonstrativ zu uns setzt, und sind uns alle einig: So ein Vorlesetraining muss es bald wieder geben!
Tanja Handels

Als ersten Gast begrüßte Noch-Vorsitzende Regina Rawlinson den Übersetzer Maximilian Murmann, der mit der beeindruckenden Sprachkombination Finnisch, Estnisch und Ungarisch aufwarten kann und eigenen Angaben zufolge auch „ein bisschen Tango tanzt“.
Kurzgeschichten und einen Roman; zudem unterrichtet er am Institut für Finnougristik in München. 2014 brachte er eine Anthologie mit dem Titel „Der Herbst kommt jedes Mal zu früh. Jüngere Literatur aus Finnland, Estland und Ungarn“ heraus und fungierte als Moderator und Dolmetscher bei einer finnisch-deutschen Lesung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literaturhaus trifft Culture Clubbing“.
Danach wurde Janine Malz auf die Bühne gebeten, zu deren Arbeitssprachen neben dem Italienischen und dem Englischen auch das Niederländische zählt. In einer ostdeutschen Kleinstadt aufgewachsen, verspürte Janine nach dem Abitur den Wunsch, die Welt zu erkunden und verbrachte deshalb einige Zeit auf einem Biobauernhof in Kalabrien. Dort fasste sie zunächst den Entschluss, Kunstgeschichte zu studieren, entschied sich aber für ein Sprachstudium in Germersheim, nachdem sie ein Radiointerview mit Miriam Pressler, der Übersetzerin der Tagebücher von Anne Frank, gehört hatte. Niederländisch lernte sie umständehalber in Triest, wo sie ein Auslandsjahr absolvierte und über die vielen exotischen Sprachen staunte, die dort unterrichtet wurden.
(bei Bedarf aber auch mal aus dem Französischen) übersetzt und seit zwei Jahren Mitglied des MÜF ist. Er schrieb bereits als Teenager Theaterstücke und konnte als Lyriker erste Publikationserfolge verzeichnen. Weil er den Wunsch hatte, mit Sprache zu arbeiten, studierte er in Bochum Germanistik und Anglistik, war drei Jahre als Journalist tätig und landete nach einer Stippvisite in der Pressestelle schließlich im Kinderbuchlektorat des Arena Verlags. Im Laufe der darauffolgenden zwanzig Jahre war er als Lektor für diverse Kinder- und Jugendbuchverlage tätig und unter anderem Programmleiter bei Ravensburger und Hanser, ehe er sich 2001 als Übersetzer, Autor und Herausgeber selbständig machte.
Im Anschluss an die gleichermaßen erhellenden wie erheiternden Gespräche konnten sich die Anwesenden wie immer am Büchertisch bedienen und bei einem ausführlichen Plausch an Lebkuchen, Brezen und Wein gütlich tun. Prosit Neujahr allen Mitgliedern!