Finnland – das glücklichste Land der Welt
Am Mittwoch, den 14.09. war es endlich soweit – mit pandemiebedingt zwei Jahren Verspätung konnte endlich unsere langersehnte Veranstaltung „Das glücklichste Land der Welt. Finnland übersetzen“ mit den beiden Übersetzer*innen Elina Kritzokat (Berlin) und Maximilian Murmann (München) stattfinden. Offenbar hatte sich das Warten gelohnt, denn der Bibliothekssaal im Literaturhaus war so voll, dass nachbestuhlt werden musste. Nach der Anmoderation durch MÜF-Vorstandsmitglied Felix Mayer ging es direkt ins Zweiergespräch. Elina Kritzokat scherzte gleich zu Beginn des Abends, es sei ein Glück, dass in diesen zwei Jahren, in denen Veranstaltung immer wieder verschoben werden musste, Finnland noch immer den World Happiness Report als „glücklichstes Land der Welt“ anführe, sonst hätte der Veranstaltungstitel nicht mehr gestimmt.
Glücklich? Aber wie!
Doch wie kommt ausgerechnet ein kleines Völkchen im kalten hohen Norden zu diesem Prädikat? Hat es womöglich etwas damit zu tun, dass die Finnen überdurchschnittlich viel lesen, fragte Maximilian Murmann seine Kollegin Elina Kritzokat, die als halbe Finnin – mit finnischer Mutter und deutschem Vater – bereitwillig Auskunft gab. Was das Lesen betrifft, da könne etwas dran sein, lachte Elina Kritzokat, auf jeden Fall läsen die Finnen sehr gerne und hätten mitten in Helsinki in Bestlage eine große Bibliothek hingebaut, einen Ort, an dem man kein Geld ausgibt und wo man einfach sein kann, anstatt etwa eine große Shopping Mall hinzustellen, die sehr viel lukrativer gewesen wäre. Andererseits verfüge Finnland – ein Land mit 5 Mio. Einwohner*innen auf einer Fläche so groß wie die BRD – über rund 3 Mio. Saunen und habe damit optimale Voraussetzungen.
Aber Spaß beiseite, Elina Kritzokat vermutete, dieses Glücklichsein hänge vielmehr damit zusammen, dass man in Finnland seinen Mitmenschen sehr viel mehr Raum gebe. Auch dafür, nicht ständig gut drauf sein zu müssen, nicht ständig „sozial performen“ zu müssen. In Finnland, so nehme sie es wahr, müsse man sich anders als in Deutschland nicht dafür erklären, wenn man bei einer Party eher schweigsam sei oder gar nicht erst auftauche. Für Stimmungstiefs habe man eine höhere Toleranzschwelle.
Leben und leben lassen
Das schlage sich auch in der Literatur nieder. Wo finnische Verlage ihren Leser*innen durchaus schwere Themen zumuten würden, würden deutsche Verlage abwinken. „Zu depressiv“, so das Urteil. Das klinge erst einmal wie ein Widerspruch zum „glücklichsten Land der Welt“, aber eben weil man in einem kleinen Land lebt, in dem jeder über drei Ecken jeden kennt, tritt man sich gegenseitig nicht auf die Füße, lebt man und lässt man leben. Das habe natürlich auch Schattenseiten, etwa dahingehend, dass finnische Bücher oftmals weniger gut lektoriert sind, weil man gerade bekannten und angesehenen Autor*innen nicht zu nahe treten will, indem man ihre Bücher korrigiert, obwohl es ihnen manchmal guttäte.
Auch hätte Finnland bekanntermaßen ein großes Problem mit Alkoholismus und eine relativ hohe Suizidrate, das dürfe nicht unterschlagen werden bei allem Lob. In literarischer Hinsicht führe diese dunkle Seite wiederum zu einer besonders produktiven Literaturszene, denn meist schreibe man ja eher aus dem Bedürfnis heraus, etwas zu verarbeiten. Obwohl das Land eine sehr überschaubare Zahl an Leser*innen habe, bringe es sehr viel, sehr vielfältige und auch sehr gute Literatur hervor.
Produktive Literaturszene, begrenzter Markt
Doch gerade diese Begrenztheit des eigenen Marktes mache es für viele finnische Autor*innen so attraktiv, auch im Ausland verlegt zu werden. Der Trend der letzten Jahre gehe deshalb immer mehr dazu, Leseproben oder ganze Bücher gleich auch auf Englisch herauszubringen, teils von den Autor*innen selbst auf Englisch verfasst, um so potentielle Verleger*innen und Leser*innen auf der ganzen Welt anzusprechen. Für den relativ kleinen Zirkel an Finnisch-Übersetzer*innen in Deutschland, die immer auch als Literatur-Scouts finnischer Literatur fungieren und selbst lesenswerte Bücher an Verlage herantragen, eine zwiespältige Entwicklung. Die mitunter zu absurden Situationen führt wie denen, dass man angehalten wird, direkt aus dem Englischen zu übersetzen. Oder wie in Maximilian Murmanns Fall dazu, dass seine deutsche Übersetzung eines finnischen Werks nun ins Arabische übersetzt wird, weil es keine Finnisch-Arabisch-Übersetzer*innen gibt. In jedem Fall aber, so sind sich beide einig, gebe es jede Menge Literatur aus Finnland, die es lohnt, entdeckt zu werden.
Der Applaus des Publikums scheint ihnen recht zu geben.
**Elina Kritzokat ist Preisträgerin des Finnischen Staatspreises für ausländische Übersetzer 2019.
**Maximilian Murmann ist Preisträger des Bayrischen Arbeitsstipendiums & Literaturstipendiums der Stadt München, beides 2021.
***Fotos & Bericht: Janine Malz