18 Jan

MÜF im Januar: Auf der Suche nach der literarischen Stimme

Die erste MÜF-Veranstaltung des Jahres 2022 hatte es gleich so richtig in sich. Die Teilnehmerzahlen waren hoch, auch wenn wir alle nach wie vor ein bisschen wehmütig im digitalen Winterquartier saßen. Diesem Format war es allerdings auch zu verdanken, dass wir unseren Berliner Kollegen Frank Heibert mit einem Vortrag begrüßen durften. Dieser war vollgepackt mit Informationen, Denkanstößen, methodischen Ansätzen und Anregungen.

Die richtige Stimme des Originals erkennen und übersetzen 

Die Frage, die sich allen Übersetzern ja zwangsläufig immer stellt, ist keine geringere als die, wie wir die richtige Stimme des Originals nicht nur erkennen, sondern widerspruchsfrei und überzeugend in unsere Sprache übersetzen. Wie wir einen Übertrag vom individuellen Blick des Autors zu unserem eigenen schaffen. Gerade in der Literatur geht es ja nicht nur darum, was für eine Geschichte erzählt wird; wie der Autor sie erzählt ist mindestens ebenso wichtig (manche würden behaupten: sogar wichtiger!). Weshalb in jeder Übersetzung immer eine Wirkungsäquivalenz angestrebt und nicht einfach in die Zielsprache „abgeschrieben“ wird. So weit, so gut.

Das Zusammenspiel von Inhalt, Ton, Stil und Haltung darf  nicht verloren gehen

Um diese Wirkungsäquivalenz zu erreichen ist es nun, so Frank Heibert, immer hilfreich, die Stimme eines Textes zu finden, die uns in unserer individuellen Interpretation – einmal dessen, was der Autor im Original geschrieben hat und einmal dessen, wie es dann im Deutschen ausgedrückt werden soll – unterstützt. Wenn wir aufmerksam bleiben und ganz genau hinhorchen. Auf den Ton eines Protagonisten, einer Erzählerstimme, eines Absatzes, oder auch eines ganzen Textes. Wir fragen uns: Welchen Sinn hat das? Welche Stilmittel wirken hier auf den Leser? Wie reagiert dieser? Und dann natürlich: Wie lässt sich dieses Erleben in der Zielsprache nachbilden? Wie können die sprachlichen Elemente, die zu einer bestimmten Wirkung führen, möglichst effektiv in einer anderen Sprache nachgebildet werden? Denn das Zusammenspiel von Inhalt, Ton, Stil und Haltung darf ja nicht verloren gehen.

Alles eine Frage der Haltung

Durch die Beantwortung dieser Fragen, die es immer wieder an einen Text zu stellen gilt, lässt sich die Haltung, die Stimme eines Textes herausfühlen und letzten Endes auch in der Übersetzung bewahren.

Nur gut, dass es gleich die Gelegenheit gab, das Gehörte an verschiedenen Beispieltexten zu erproben und anhand von Wortwahl und Satzgestaltung über die dahinterstehende Haltung nachzudenken. Nicht wenige dürften nach diesem interessanten Vortrag, wie es Tanja Handels so schön formuliert hat, „ein bisschen anders auf ihre aktuellen Projekte blicken“.

Auf jeden Fall wurden uns reichlich Denkanstöße für das Lesen und Interpretieren serviert, so dass wir unsere Intuition und unser Sprachgefühl zielsicher unterfüttern und auf feste Füße stellen können.


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Dominique Lorenz