27 Okt

Beim Heiligen Hieronymus!

Am 30. September begehen Übersetzerinnen und Übersetzer weltweit den Hieronymustag. Der heilige Hieronymus hat um das Jahr 400 n. Chr. die Bibel in ein allgemeinverständliches Latein übersetzt und gilt daher als Schutzpatron der Übersetzenden. Weiterlesen

30 Sep

Herbstlese mit vier Überraschungsgästen

Vor einer Woche fand anlässlich des Hieronymustags am 30.09. unsere Herbstlese im Literaturhaus München statt.

Moderatorin Alexandra Baisch, selbst Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Spanischen, führte durch den Abend und präsentierte dem Publikum vier Überraschungsgäste.

 

Biest

Als Erstes, so verkündete sie, werde ein „Biest“ die Bühne betreten, beruhigte aber die Anwesenden, dabei handle es sich bloß um den ersten Titel des Abends. Daraufhin stieg Julia Gschwilm auf die Bühne, Übersetzerin aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen. Tatsächlich hatte sie das „Biest“ dabei, einen dänischen Roman der Autorin Ane Riel.  Darin geht es um Leon, genannt „Dodo“, der seit seiner Geburt auffällig groß, kräftig und langsam in seiner Entwicklung ist. Je älter er wird, desto öfter passiert es ihm mit seinen Bärenkräften, dass er aus Versehen Tiere zerquetscht, obwohl er sie eigentlich nur streicheln will. Auch als Erwachsener ist ihm die Welt noch immer oft ein Rätsel. Nur sein bester Freund Mirko schafft es, zu ihm vorzudringen und ihm ein Gefühl von Zuhausein zu vermitteln, vor allem, als sich ihre Leben in einer Nacht für immer verändern …

Julia Gschwilm erzählt sichtlich angetan von dem Buch, das an einem nicht näher benannten Ort irgendwo in Süd(ost)europa spielt und dessen Hauptfigur an Lennie aus Steinbecks „Von Menschen und Mäusen“ erinnert. Auf die Frage, wieso es sich lohnt, das Buch zu lesen, antwortet sie prompt: Die Autorin, von der sie bereits mehrere Krimis wie „Harz“ und „Blutwurst und Zimtschnecken“ übersetzt hat, schafft es immer wieder, in ihren Büchern eigene Welten zu erschaffen und und ihre Figuren so lebendig zu zeichnen, dass man meint, sie zu kennen. Dabei sind die Stoffe originell und fesselnd, eine klare Empfehlung.

Ewiges Licht

Als Zweites kam Jan Schönherr auf die Bühne, Übersetzer aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Rumänischen, der „Ewiges Licht“ von Francis Spufford mitgebracht hatte. Für den Übersetzer nach „Neu-York“ bereits das zweite Buch des britischen Autors. In seinem neuen Roman erzählt Spufford vom 25. November 1944, an dem eine deutsche V2 in einen Londoner Woolworth einschlug. 168 Menschenleben wurden ausgelöscht; 33 Kinder, auch Babys waren darunter.

In allen Einzelheiten beschreibt er, was beim Einschlag der Rakete passiert, wie sie binnen Sekunden das Gebäude sprengt, wie sich die Körper auflösen. Anhand von fünf Kindern spinnt der Autor die Geschichte weiter. Was wäre aus ihnen geworden, wären sie nicht gestorben? Spufford zeichnet fünf Lebenswege in Abständen von fünfzehn Jahren nach. Was in einer Phase bedeutsam, prägend war, kann in der nächsten bereits nur noch eine entfernte Erinnerung sein.

Die Wahrheit und andere Erinnerungen

Die Dritte an diesem Abend war Andrea O’Brien, Übersetzerin aus dem Englischen, die ebenfalls ein echtes Herzensbuch präsentierte: „Die Wahrheit und andere Erinnerungen“ von Imbi Neeme. In dem Buch geht es um die beiden Schwestern Sam und Nicky. 1982 stellt ein Autounfall mit ihrer Mutter Tina am Steuer ihr Leben komplett auf den Kopf. Beide sind noch klein, bei dem Unfall wird glücklicherweise niemand verletzt. Doch ihr Vater gibt seiner alkoholsüchtigen Frau die Schuld an dem Unfall. Fortan lebt Sam beim Vater, Nicky bei ihrer Mutter. Ihre Leben verlaufen in völlig unterschiedlichen Bahnen und doch lässt sie die Erinnerung an damals nicht los.

Was ist wirklich geschehen? Um das herauszufinden, müssen die Schwestern das schier Unmögliche tun: das Ungesagte aussprechen, die eigene Geschichte neu zusammensetzen. Doch keine von beiden ahnt, was diese Reise in die eigene Vergangenheit zu Tage fördert … Übersetzerin Andrea O’Brien ist noch immer schwer begeistert von dem Debüt der australischen Autorin. Auch wenn es nicht immer leichte Kost ist, kann sie diese erschütternde und ergreifende Familiengeschichte nur jedem empfehlen.

Eine Insel

Als Viertes kam Regina Rawlinson auf die Bühne, die „Eine Insel“ der südafrikanischen Autorin Karen Jennings vorstellte. Der Leuchtturmwärter Samuel lebt seit zwanzig Jahren ganz allein auf einer Insel, irgendwo vor der Küste Südafrikas. Abgesehen von dem Versorgungsschiff, das alle zwei Wochen anlegt, hat er keinen Kontakt zur Außenwelt. Samuel ist in Armut aufgewachsen, wurde mit seiner Familie von Kolonialherren von seinem eigenen Land vertrieben, eher unfreiwillig wird er in gewalttätige Ausschreitungen auf den Straßen hineingezogen. Daraufhin landet er 23 Jahre im Knast. Als er wieder rauskommt, erkennt er sein Land nicht mehr wieder und auch die Menschen in seinem Umfeld haben sich von ihm abgewandt. So flüchtet er sich auf eine Insel, wo er seine Pflichten als Leuchtturmwärter erfüllt und ansonsten Hühner züchtet und eine Steinmauer instand hält, als Schutz vor Eindringlingen. Wenn gelegentlich die Leichen von Flüchtlingen angespült werden, fügt er sie in die Mauer ein. Bis eines Tages der Körper eines Mannes angespült wird, der noch Lebenszeichen von sich gibt …

Regina Rawlinson hat der Roman tief beeindruckt, nicht nur aufgrund seiner sparsamen, eleganten Konstruktion, sondern vor allem, weil er viel darüber erzählt, wie Menschen vom Strudel der Geschichte mitgerissen werden und ohne eigenes Verschulden im Elend landen können. Und damit schließt sich der Kreis an diesem Abend. Denn trotz der zeitlichen und geografischen Distanz der vier vorgestellten Titel haben sie eines gemeinsam: Es geht um universelle Werte der Menschlichkeit und darum, Menschen nicht vorschnell zu be- und verurteilen. Sich zu fragen, welches Schicksal und welche Gründe sie womöglich dazu bewegen, so zu handeln, wie sie es tun. Darin liegt die eigentliche Kraft der Literatur – den Blick zu weiten für andere Lebenswelten und Verständnis für einander zu ermöglichen.

 

Bibliografie:

Ane Riel: „Biest“, erschienen bei btb

Francis Spufford: „Ewiges Licht“, erschienen bei Rowohlt

Imbi Neeme: „Die Wahrheit und andere Erinnerungen“, erschienen bei Arche

Karen Jennings: „Eine Insel“, erschienen bei Blessing

Bericht & Fotos: Janine Malz

14 Sep

Finnland – das glücklichste Land der Welt

Am Mittwoch, den 14.09. war es endlich soweit – mit pandemiebedingt zwei Jahren Verspätung konnte endlich unsere langersehnte Veranstaltung „Das glücklichste Land der Welt. Finnland übersetzen“ mit den beiden Übersetzer*innen Elina Kritzokat (Berlin) und Maximilian Murmann (München) stattfinden. Weiterlesen

14 Jul

O tempora! Die Zeiten der Vergangenheit – Ein Abend mit Rosemarie Tietze

Pünktlich um 20 Uhr geht es los, der Hufeisentisch ist vollbesetzt, das Interesse am Thema des heutigen Abends offenbar groß. „O tempora!“, so lautet der Titel des mitgliederinternen Workshops von Russisch-Übersetzerin Rosemarie „Mascha“ Tietze.

Die Vergangenheit hat viele Gesichter

Ein Stoßseufzer ist da wohl mitgedacht, denn jede*r Übersetzer*in kennt die Verwirrungen und Verirrungen im Labyrinth der Zeitformen. Heute Abend sollen insbesondere die Vergangenheitstempora beleuchtet werden, die als klassisches Prosa-Erzähltempus wohl zu den härtesten Nüssen gehören, die unsereins zu knacken hat. Zunächst wirft Rosemarie Tietze die Frage in den Raum, was wir als Berufspraktiker*innen von unseren Sprachen berichten können. Wie viele Vergangenheitstempora gibt es in unseren Arbeitssprachen? Sind sie deckungsgleich mit den deutschen (Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt)? Gibt es gravierende Unterschiede? Aus eigener Erfahrung kann Mascha von den Besonderheiten des Russischen berichten, wo es nur eine Vergangenheitsform (Präteritum) gibt, jedoch jedes Verb über zwei Formen verfügt, den unvollendeten sowie den vollendeten Aspekt.

Im Französischen wiederum berichtet eine Workshop-Teilnehmerin gibt es vier Zeiten: das imparfait, das passé simple, das passé composé und das plus-que-parfait, wobei das passé simple in der gesprochenen Sprache nie verwendet wird. Viele heutige Autoren verwenden es auch in der Schriftsprache nicht mehr, sondern ersetzen es durch das passé composé (Perfekt). Das kann beim Übersetzen zum echten Problem werden, denn ich darf die Zeitform nicht unbesehen übernehmen, weil mein Text unnatürlich schwerfällig würde und im Deutschen das Perfekt auch andere Funktionen hat. Im Italienischen hingegen gibt es mit dem passato remoto eine Zeitform, die nur im Süden mündlich verwendet wird, ansonsten aber der gehobenen Schriftsprache angehört. Zudem verwendet das Italienische sehr oft die Vorzeitigkeit (trapassato remoto), was beim Übersetzen dazu verleitet, es im Deutschen als Plusquamperfekt nachzubilden, was jedoch oft schwerfällig und unnötig ist.

Es gibt keine absolute Bedeutung der Zeiten, nur eine relative, je nach Kontext, Sprech- bzw. Schreibakt und Tempusumgebung.

Überhaupt das Plusquamperfekt im Deutschen! Hatte, hatte, Landratte! Offenbar bereitet es so einigen Kolleg*innen am Tisch Kopfschmerzen. Üblicherweise kann man bei Rückblenden in Romanen zunächst im Plusquamperfekt beginnen, wechselt dann ins Präteritum und kehrt zum Schluss der Passage wieder ins Plusquamperfekt zurück, um die Leser*innen daran zu „erinnern“, dass wir uns hier nach wie vor in einer Rückblende befinden und es nun im Hier und Jetzt des Romans weitergeht. Doch Mascha hat dafür einen genialen Kniff auf Lager. Anstatt vom Plusquamperfekt ins Präteritum zu wechseln, was auch nicht ohne ist („du nageltest“, „du zaudertest“), wechselt man stattdessen ins Präsens. Am Tisch ungläubiges Staunen. Doch das darauf folgende Textbeispiel beweist: Es funktioniert! Hier und da werden Notizen gemacht. Eine zentrale Erkenntnis des Abends lautet:

Es gibt keine absolute Bedeutung der Zeiten, nur eine relative, je nach Kontext, Sprech- bzw. Schreibakt und Tempusumgebung. Der Abend ist gespickt von solchen Aha-Momenten und am Ende gehen alle mit dem guten Gefühl nach Hause, nicht allein zu sein mit ihren gelegentlichen Stoßseufzern und wieder etwas dazu gelernt zu haben.

Bericht & Fotos: Janine Malz

 

29 Jun

Rebekka 2022 – Preisverleihung an Maike Dörries

Die „Rebekka“ – der Preis für Übersetzer*innen, die seit Langem gut, beharrlich und oft schlecht bezahlt Bücher in den Bereichen Unterhaltungsroman, Krimi, Science-Fiction und Kinder- und Jugendliteratur ins Deutsche übertragen – wurde zum zweiten Mal vergeben Weiterlesen

12 Jun

Das Translatorische Trio

Am 18. Mai 2022 trafen sich die Literaturübersetzer Mirko Kraetsch und Radovan Charvát auf der Bühne des Münchner Literaturhauses – eingeladen hatte sie Frances Jackson, Programmkoordinatorin des Tschechischen Zentrums Weiterlesen

17 Mrz

Open Mic: MÜF liest!

Reisen im Kopf oder Die Literaturübersetzung in Zeiten der Pandemie

Nach der neuerlichen Covid-19-bedingten Pause fand am 10. März 2022 in der Bibliothek des Literaturhauses erstmals wieder eine Präsenz-Veranstaltung des MÜF statt. Fünfzehn Interessierte wagten sich zu der als „Speeddating“ deklarierten internen Lesung, Weiterlesen

18 Jan

MÜF im Januar: Auf der Suche nach der literarischen Stimme

Die erste MÜF-Veranstaltung des Jahres 2022 hatte es gleich so richtig in sich. Die Teilnehmerzahlen waren hoch, auch wenn wir alle nach wie vor ein bisschen wehmütig im digitalen Winterquartier saßen. Diesem Format war es allerdings auch zu verdanken, dass wir unseren Berliner Kollegen Frank Heibert mit einem Vortrag begrüßen durften. Dieser war vollgepackt mit Informationen, Denkanstößen, methodischen Ansätzen und Anregungen.

Die richtige Stimme des Originals erkennen und übersetzen 

Die Frage, die sich allen Übersetzern ja zwangsläufig immer stellt, ist keine geringere als die, wie wir die richtige Stimme des Originals nicht nur erkennen, sondern widerspruchsfrei und überzeugend in unsere Sprache übersetzen. Wie wir einen Übertrag vom individuellen Blick des Autors zu unserem eigenen schaffen. Gerade in der Literatur geht es ja nicht nur darum, was für eine Geschichte erzählt wird; wie der Autor sie erzählt ist mindestens ebenso wichtig (manche würden behaupten: sogar wichtiger!). Weshalb in jeder Übersetzung immer eine Wirkungsäquivalenz angestrebt und nicht einfach in die Zielsprache „abgeschrieben“ wird. So weit, so gut.

Das Zusammenspiel von Inhalt, Ton, Stil und Haltung darf  nicht verloren gehen

Um diese Wirkungsäquivalenz zu erreichen ist es nun, so Frank Heibert, immer hilfreich, die Stimme eines Textes zu finden, die uns in unserer individuellen Interpretation – einmal dessen, was der Autor im Original geschrieben hat und einmal dessen, wie es dann im Deutschen ausgedrückt werden soll – unterstützt. Wenn wir aufmerksam bleiben und ganz genau hinhorchen. Auf den Ton eines Protagonisten, einer Erzählerstimme, eines Absatzes, oder auch eines ganzen Textes. Wir fragen uns: Welchen Sinn hat das? Welche Stilmittel wirken hier auf den Leser? Wie reagiert dieser? Und dann natürlich: Wie lässt sich dieses Erleben in der Zielsprache nachbilden? Wie können die sprachlichen Elemente, die zu einer bestimmten Wirkung führen, möglichst effektiv in einer anderen Sprache nachgebildet werden? Denn das Zusammenspiel von Inhalt, Ton, Stil und Haltung darf ja nicht verloren gehen.

Alles eine Frage der Haltung

Durch die Beantwortung dieser Fragen, die es immer wieder an einen Text zu stellen gilt, lässt sich die Haltung, die Stimme eines Textes herausfühlen und letzten Endes auch in der Übersetzung bewahren.

Nur gut, dass es gleich die Gelegenheit gab, das Gehörte an verschiedenen Beispieltexten zu erproben und anhand von Wortwahl und Satzgestaltung über die dahinterstehende Haltung nachzudenken. Nicht wenige dürften nach diesem interessanten Vortrag, wie es Tanja Handels so schön formuliert hat, „ein bisschen anders auf ihre aktuellen Projekte blicken“.

Auf jeden Fall wurden uns reichlich Denkanstöße für das Lesen und Interpretieren serviert, so dass wir unsere Intuition und unser Sprachgefühl zielsicher unterfüttern und auf feste Füße stellen können.


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Dominique Lorenz
17 Dez

Weihnachts-MÜF: Freude allerorten

Mit Strahlenkranz und Wichtelunterstützung

Seltsam schnell ist es vergangen, dieses schräge Jahr. Kaum hatten wir zweimal geblinzelt, war es auch schon wieder Zeit für eine unserer liebsten Traditionen: den alljährlichen Weihnachts-MÜF!

Regina Rawlinson

An einem Donnerstag im Dezember fanden wir uns also etwas wehmütig – da nun doch wieder digital –, aber dennoch gespannt und sehr zahlreich ein, um in gewohnt lockerer, unterhaltsamer Art ein paar der Unsrigen ein wenig genauer unter die Lup… pardon, in die Mitte zu nehmen. Die obligatorische anfängliche Nervosität unserer ehemaligen „großen Vorsitzenden“ Regina Rawlinson legte sich schnell (Strahlenkranz und geballte Wichtelunterstützung mögen ihren Anteil daran gehabt haben), und auch als einfaches „kleines Mitglied“ fragte sie unsere Ehrengäste bald nach Herzenslust aus.

Sprach- und Trampilot in Zürich

Den Anfang machte Richard Barth, unser nach Zürich ausgewandertes Mitglied, das uns mit einem herzlichen „Gueten Abig mitenand!“ begrüßte. Und schnell wurde klar, dass Corona manchmal (aber nur manchmal) vielleicht auch sein Gutes hat. Die deutsch-deutschen Verständigungsschwierigkeiten im Nachbarland sorgten für amüsiertes Schmunzeln, für die heimlichen Sprachwissenschaftler und Sozialanthropologen unter uns war der eine oder andere Leckerbissen dabei: der tägliche Kampf gegen den Sprachswitch-Reflex der Schweizer; Helvetismen, die sich heimlich in die eigene Übersetzung einschleichen; der Prof, der vielleicht mehr Berndeutsch schwätzt als der Bauarbeiter aus Graubünden, aber – ganz im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant – keinen sozialen Unterschied im Sprachgebrauch zeigt. Könnte man sich vielleicht mal eine Scheibe abschneiden hierzulande.

Richard Barth

Richards Werdegang hat so einige Schleifen und Umwege genommen: vom Gymnasiallehrer mit „zu kurzer Lunte“ wieder zurück auf die Schulbank, ins Praktikum, als Stadtführer auf den Straßen Münchens unterwegs, im Kollektiv für ein Übersetzungsbüro tätig und dadurch den ersten kleinen Zeh in die Drehtür der Verlage geschoben – so kann’s gehn. Von da an besserte sich nicht nur die Bezahlung, gleichzeitig trat auch die Familie mehr in den Vordergrund. Heute scheint Richard ein gesundes Gleichgewicht zwischen Beruf, Berufung und Familie gefunden zu haben. Der Stadt hat er dennoch nicht ganz den Rücken kehren können – zwar führt er keine neugierigen Touristen mehr herum, bringt dafür jedoch müde Angestellte mit der Tram sicher nach Hause. Er geht dahin, wo er gebraucht wird.

Im Zickzack an die  Küste: Über Kyoto nach Rotterdam

Aus den Bergen an die Küste ging es mit unserem nächsten Ehrengast. Auch Matthias Müller ist ein Jack of all Trades, der uns über eine Gemeinschaftsübersetzung vor Jahren mal „zugelaufen“ ist – trotz unserer „regelrecht rührenden“ Abschreckungsversuche. Für ihn ist Sprache der rote Faden in seinem „recht zickzackigen Leben“ (die kindliche Begeisterung für Karl May scheint hier immer mal wieder ins Kraut geschossen zu sein). Mit Englisch als zweiter Muttersprache lag das Japanologie-Studium in Kyoto natürlich nahe … als sich herausstellte, dass es zum Dolmetscher dann doch nicht ganz reicht, folgte Matthias seinem Impuls aus Kindertagen und wandte sich dem Übersetzen zu, zunächst für kleine Verlage in Berlin, daneben aber auch als Untertitler. Die kreativen Variationen von „JR, was hast du wieder gemacht!“ gingen ihm irgendwann ein wenig aus, und so machte er sich kurzerhand auf der Buchmesse auf die Jagd nach Kontakten im Belletristikbereich – und fand „die Lektorin, die Übersetzer liebt“.

Matthias Müller

Einige Jahre konnte diese Arbeit ihn fesseln, doch abwandernde Autoren und immer magerere Bezahlung führten ihn schließlich zunehmend in den Wissenschaftssektor, zu so unterschiedlichen Themenbereichen wie internationaler Finanzgeografie und der Geschichte des Tango. Das kam seiner zweiten großen Leidenschaft, der Musik, sehr entgegen, der er privat wie beruflich nachgeht. Neues auszuprobieren ist und bleibt Matthias‘ Steckenpferd. So hat er sich kürzlich einen langgehegten Traum erfüllt und die Ausbildung zum Gerichtsdolmetscher durchlaufen, engagiert sich daneben ehrenamtlich für ein Tierrettungszentrum, lernt Arabisch und Koreanisch (kann man je genug Fremdsprachen beherrschen?) und widmet sich der Kalligrafie. Der Kontakt zur Übersetzercommunity war zwischenzeitlich etwas ausgefasert, doch wir sind sicher, dass wir Matthias auch aus der Ferne wieder mehr in unsere Mitte holen können!

Sprach- und Kulturbotschafterin in Rom

Mit diesem schönen Gedanken im Kopf flogen wir flugs einmal quer über den Kontinent gen Süden, um Maja Pflug, die Dritte im Bunde unserer Sendboten im Ausland, zu begrüßen. Sie ist ein echtes MÜF-Urgestein – und uns bis heute treu geblieben. Bereits als Jugendliche hat sie ihr Herz an ein Land und seine Sprache verloren. Als Sprach- und Kulturbotschafterin vermittelt sie seitdem ihre Begeisterung für das Italien von gestern, heute und morgen.

Maja Pflug

Auch ihr Weg dahin blieb nicht ganz ohne Mühen, doch sie hat sich gegen alle Widerstände durchgesetzt, viel Zeit mit Land und Leuten verbracht, sich mit einem Au-pair-Aufenthalt in Großbritannien sogar selbst auf die Probe gestellt, indes: Nichts half, Italienisch musste es sein. So entschloss sie sich schließlich, „diesen Identitätskonflikt zu überwinden und meine beiden Teile zusammenzubringen“, indem aus der Leserin Maja eine Übersetzerin wurde. Zunächst, wie so viele, vor Gericht, denn leisten muss man sich seine Leidenschaft ja auch können, doch sobald die ersten Kontakte mit Verlagen Früchte trugen, widmete sie sich mit ganzer Seele ihrem liebsten Hobby. Das Ergebnis kann sich sehen lassen! Trotz „unzählig vieler Preise“, darunter der deutsch-italienische Übersetzungspreis für ihr Lebenswerk, ist sie boden-ständig und bescheiden geblieben und lebt ihr Motto: „übersetzen, was man liebt“. Noch heute, viele Jahre und unzählige Romane später, gehört es zu ihren liebsten Beschäftigungen, sich spontan irgendwo in ihrer Wahlheimat Rom auf eine Bank zu setzen und den Leuten zuzuhören, denn: Sprache in all ihrer Bandbreite ist „unglaublich spannend“!

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Susanne Döllner
15 Mai

Don’t Forget to Play …

von Stefanie Werner

Mit dieser liebevollen Erinnerung lud Literaturübersetzerin Beate Schäfer im Namen des Münchner Übersetzerforums kürzlich zu einem Workshop ein, der mich sofort anlachte. Zwar sind wir Spracharbeiter unentwegt mit den Worten und Silben zugange, aber es ist meist doch „Arbeit“, das Spielerisch-Leichte kommt mitunter zu kurz. Beate Schäfer, selbst literarische Übersetzerin, daher mit unserem Dilemma bestens vertraut, nahm uns als erfahrener Schreibcoach sanftmütig an die Hand und begleitete diesen Abend mit großer Sensibiliät.

Welches Tier ist dein Text?

Was die Dozentin dann in ihrem Handout „Impuls-Werkstatt“ nannte, hatte seinen Namen wahrlich verdient. Die Übungen, die sie mit rund zwanzig online zugeschalteten Übersetzerinnen des MÜF unternahm (sic: wir waren nur weiblich besetzt), führten uns auf Anhieb ins Reich der Fantasie. „Wenn unser Text, der gerade auf dem Schreibtisch liegt, ein Tier wäre, was hätten wir wohl vor uns?“

Spannend. Reizvoll. Nach kurzer Zeit, in denen die Köpfe zu rauchen begannen, kamen die ersten spontanen Antworten: mit den Antworten erklang manch erkenntnisgeplagter Seufzer („mein Text ist ein glitschiger Regenwurm“) und es entstanden Kreuzungen, die noch kein Biologe dokumentiert hat, Sprungschnecken zum Beispiel. Mir schoss sofort das Wort „Panther“ in den Kopf und tatsächlich beschäftigte mich dieses als warm-up gedachte Spielchen noch eine ganze Weile.

Freewriting: Let it all out

Das „Freewriting“ war mir als Übung ein Begriff, doch schon lange verstaubten die vor Jahren geschriebenen Seiten in meiner Schreibtischschublade. Erfrischend, wieder einmal neu anzusetzen. Und das Schöne: im Webinar ist man nicht allein. Wie eine Kollegin des MÜF treffend sagte: sie spüre diesen „Raum“, der ja virtuell ist, als echten, geschützten Ort, an dem man Vertrauen fasst und eine Atmosphäre entsteht, die wie in Präsenzseminaren wohltuend ermutigend und anregend ist. Wie wahr. Wie gut.

Elfchen: Lyrik für alle

Was ich nicht kannte, war das „Elfchen“. Und das hat mich wirklich verfolgt. Schon am nächsten Morgen wachte ich auf mit den nächsten elf, brav sortierten Worten vor Augen. Was das ist? Eine Art Kurzgedicht, elf Worte, in jeder Zeile eins mehr. Verdichtet, verknappt, pointiert. Bilder entstehen. Manchmal Wortgewalt. Assoziationen, die mit ganz wenig herausgekitzelt werden.

Kind
hüpf weiter
tob dich aus
ich halte dich im
Flug.

Das Ausprobieren von Figurenstimmen war am Ende die Königsdisziplin. So wie wir beim Übersetzen immer die Stimme unserer Figuren im (Hinter-)Kopf haben sollten, war diese Aufgabe naheliegend, aber nicht leicht. Wie treffend manche Kollegin eine Stimme entwarf, dass man sofort eine Person, eine Situation erkannte und bildlich vor Augen hatte, war großartig. Und bestätigte mich in meiner Überzeugung, dass man nicht übersetzen kann, wenn man nicht auch ein kleines bisschen das Schreibgen in sich trägt …

Stefanie Werner, bloggt auf ihrer eigenen Website: www.text-haus.de